… so hatte es die britische Ökonomin Joan Robinson passend ausgedrückt, denn Indien gehört zu den vielfältigsten Ländern der Welt: Neben Hindi und Englisch gibt es 22 weitere Amtssprachen und auch in der Bevölkerung treffen Kontraste aufeinander – sei es in Hinblick auf Alter, Wohlstand, Bildung oder dem vorwiegenden Leben auf dem Land im Kontrast zur fortschreitenden Urbanisierung.
Genau hiervon durften wir uns bei einer kürzlichen Indien-Reise erneut ein eigenes Bild machen. Warum dies von strategischem Interesse für die ICUnet.Group ist? Einerseits haben wir seit 2018 einen Standort in Pune. Andererseits zeigt sich seit Jahren eine klare Tendenz: International agierende Unternehmen starten bzw. verstärken ihre Aktivitäten in Indien. Welche Entwicklungen innerhalb des Landes sind hierbei zu berücksichtigen? Dem gehen wir auf den Grund:
Als Global Mobility Service Provider beobachten wir gemeinsam mit unserem indischen Partner „LexVisas“, dass sich mittlerweile der größte Teil der Mobilitätsbewegungen vor Ort als „outbound“ Entsendungen charakterisieren lassen. Das heißt, dass das Land zunehmend Fachkräfte ins Ausland entsendet und vor allem seit der Pandemie immer weniger Expats nach Indien kommen.
Bessere Bildung als Hoffnungsträger
Dies liegt mitunter an dem strukturellen Fachkräfteüberschuss: Seit dem offiziellen Verbot des Kastensystems im Jahr 1950 eröffnete sich großen Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit von Schulbildung und immer mehr Inder*innen auch die eines Universitätsabschlusses. Ein akademischer Titel soll den guten Ruf der gesamten Familie fördern. Immerhin steht diese bei den meisten Inder*innen klar im Mittelpunkt. Aufgrund der schieren Masse an Absolvent*innen im (kurz vor China) bevölkerungsreichsten Land der Welt, wächst jedoch der Anspruch, zu den besten der Studienabgänger*innen zu gehören. Universitäten werben öffentlich mit Absolvent*innen mit perfekten Noten und erhöhen so den Druck auf ihre Kommiliton*innen im Rennen um Jobs.
Sozialer Aufstieg als Treiber
Der damit einhergehende gesellschaftliche Druck ist auch kulturell bedingt: In Indien sprechen wir von einer „Shame Culture“, die im Gegensatz zur in Deutschland üblichen „Guilt Culture“ steht. Was das konkret bedeutet? Eine „Schamkultur“ fokussiert das soziale Ansehen, weswegen Verhaltensweisen durch die antizipierte öffentliche Meinung geprägt werden. Eine „Zunftkultur“ hingegen konzentriert sich eher auf individuelle Verantwortung und die moralische Integrität der Einzelperson, basierend auf gesellschaftlich dominierenden Werten.
Willkommenskultur als Maxime
Apropos Werte: Diesbezüglich kennzeichnet sich die indische Gesellschaft durch Offenheit und Gastfreundlichkeit. Hinzu kommt der weit verbreitete Glauben an Karma und Dharma. Daher besteht in Indien z.B. kaum Sorge um Diebstahl, ganz im Gegenteil: Insbesondere Europäer*innen erfahren in Indien eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft – „Welcome to India“ heißt es, wenn wir beispielsweise Unterstützung bei dem flächendeckend eingesetzten digitalen Bezahlsystem brauchen. Die Modernisierung zeigt sich auch im rasanten Ausbau der Infrastruktur oder des Gesundheitssystems. Hierdurch steigt auch die Lebenserwartung in Indien, was bei gleichzeitig sinkender Fertilitätsrate zu einer langsamen Annäherung des Gleichgewichts zwischen den Bevölkerungsanteilen an jungen und alten Menschen führt.
Kein Wunder, dass sich bei all dem Fortschritt in den letzten Jahren und unter der hindu-nationalistischen Modi-Regierung ein wachsender Nationalstolz entwickelt hat. Blickt man nur wenige Jahre zurück in die indische Geschichte, so dominierten noch Bilder von Armut und anderen großen gesellschaftlichen Missständen.
Glauben als Teil von Geschichte
Unter der Great Partition ist die 1947 eingeleitete Teilung des Landes in die zwei unabhängigen Staaten Indien und Pakistan durch die britischen Kolonialherren zu verstehen. Millionen Menschen verloren durch die damit einhergehenden ethnisch und religiös motivierten Auseinandersetzungen ihr Leben. Diese Teilung prägt beide Länder bis heute, da hierdurch viele Hindus aus Pakistan vertrieben wurden und wiederum viele Muslime aus Indien. Letztere machen heute nach den Hindus die größte Religionsgruppe in Indien aus.
Chancen für Unternehmen
Was die eingangs genannten Tendenzen zur globalen Mobilität betrifft, so bleibt abschließend erneut auf die Chancen in Hinblick auf den Austausch qualifizierter Fachkräfte zu verweisen. Europäische Länder wie Deutschland, aber auch die USA, sind nach wie vor sehr attraktiv für indische Talente. Angst vor dem sogenannten „Brain Drain“, also dem Verlust der Kompetenzen einheimischer Spezialist*innen, haben die Inder*innen mitunter aufgrund des Überangebots an Fachkräften nicht. Eher wird der Schritt nach Europa als Karrierechance erachtet, die es gleichzeitig ermöglicht, Geld retour an die Familien im Heimatland zu senden, was sich positiv auf die indische Wirtschaft auswirkt.
Gleichzeitig werden genau die Kompetenzen der in Indien ausgebildeten MINT-Expert*innen hierzulande händeringend gesucht. Wir bleiben daher dran, für unsere Kund*innen weiterhin gezielt Synergien zwischen Deutschland und Indien auszuloten.